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Das Geheimnis der Deckelvasen


Ein Textauszug aus meinem neuen Buch

 

Hubert hörte nicht, also sprach sie eine kurze Nachricht auf die Mailbox.

Sicher saß er noch mit seinen Kumpels zusammen wie eben noch die Männer, die sie nach Hause begleitet hatten.

Sollte er seinen Spaß haben.

Sie wollte nicht schlafen gehen. Einen Moment zum Heimisch werden brauchte sie noch. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Lea trat ein und griff nach dem Lichtschalter.

Die Kerzen des Kronleuchters flammten auf, und die Atmosphäre im Zimmer erschien ihr plötzlich kalt und unwirtlich. Im Gästezimmer hatte sie eine kleine Lampe gesehen. Ein heller Holzfuß mit einem Leinenschirm darauf.

Die holte sie sich herunter, stellte sie auf die Anrichte und knipste sie an. Viel besser, dachte sie. Die Schatten waren plötzlich weich, und das Zimmer bekam seine Wärme zurück.

Ihre Augen fielen auf den Tisch. Sie erinnerte sich, dass dieses Möbelstück eine Schublade besaß. Als sie noch ein Kind war, hatte sie ihre kleinen Schätze darin versteckt. Sie hob die Decke an und zog die Lade heraus. Buntstifte, bemalte Zettel, Muscheln und Murmeln waren noch immer da, wo sie vor so langer Zeit von ihr abgelegt worden waren.

Der Ordnungsliebe der Großmutter war das gewiss nicht entgangen, aber sie hatte die Dinge nicht angerührt seit damals.

Stück für Stück ließ Lea durch die Finger gleiten und zu jedem fiel ihr die Geschichte ein, wie die kleinen Kostbarkeiten in ihren Besitz gekommen waren.

Aus den verschwommenen Erinnerungen tauchten sie auf, deutlich und klar.

Lea schüttelte sie ab, schloss die Schublade und breitete die Decke darüber.

Sie würde schlafen gehen und morgen alle notwenigen amtlichen Wege erledigen, bevor sie sich entschied zu behalten oder weg zu geben.

Lea träumte von ihrer Kindheit in diesem Haus.

Träume, so leicht wie Libellenflügel und bunt wie Frühlingswiesen. Die einzigen Details jedoch, an die sie sich am Morgen erinnerte waren die Motive auf den Deckelvasen, die durch ihre Träume getanzt waren.

Schade, dass sie nicht mehr an ihrem Platz standen!

Sie warf die Decke zurück, duschte und machte sich fertig für den Tag.

Ob Großmutters Rad noch im Anbau stand? Sie ging nachschauen. Es war tatsächlich noch vorhanden. Sie brauchte nur den Staub vom Sattel zu wischen aufzusteigen, ins Dorf zu fahren, sich Brötchen und Kaffee zu kaufen und schon konnte sie in aller Gemütlichkeit frühstücken.

Die Schlüssel verstaute sie im Rucksack. Schon trat sie in die Pedale, als hätte sie nie etwas anderes getan.

Lea wunderte sich über ihre Courage. Zuhause wäre sie nie auf die Idee gekommen, Rad zu fahren. Huberts  Gespött, sie würde garantiert die nächste Hausecke mitnehmen, hätte es verhindert. Hier schien es selbstverständlich zu sein.

Das Dorf hatte noch immer eine kleine Bäckerei und einen Supermarkt im Tante Emma Format in dem sie Kaffee, Butter und eine Zeitschrift kaufen konnte. Die Leute schauten sie an, als wäre sie ein Huhn mit vier Beinen, tuschelten hinter vorgehaltener Hand oder hinter ihrem Rücken, aber das störte  Lea nicht.

In einem Dorf  wie diesem wurde jeder Fremde zum willkommenen Gesprächsstoff. Das kannte sie von früher.

Sie füllte ihren Korb mit allem, was sie brauchte, lächelte die Kassiererin freundlich an, bezahlte, stieg auf ihr Rad und fuhr heimwärts.

Heimwärts? Seltsam. Es war nicht ihr Zuhause, und doch fühlte es sich so an.

Mit dem Blick in den Garten saß sie in der Küche. Sie hatte das Radio eingeschaltet. Großmutters Musikgeschmack war auch der ihre.

Der Kaffee duftete, die Brötchen waren knackig und doch nicht krümelig. 

Sie hatte ihre Abneigung gegen Keller verdrängt und sich ein Glas Apfelgelee geholt, Großmutters Spezialität. Sorgsam beschriftet und nach Jahrgängen sortiert standen die Schätze des Sommers in den Regalen. Das würde noch für viele morgendliche Genüsse reichen.

Ganz nebenbei war ihr im Keller eine Kiste aufgefallen, die noch nicht lange da zu stehen schien. Das Holz war hell und duftete nach frischem Harz. Darum würde sie sich kümmern wenn sie vom Anwalt zurück kam.

 

 

Die Formalitäten in der Kanzlei waren schnell erledigt. Immerhin hatte Lea mit ihrer Anwesenheit schon einmal prinzipiell zugestimmt, das Erbe ihrer Großmutter anzutreten.

Sie fragte sich nur, ob es Verpflichtungen gegenüber anderen Familienmitgliedern zu beachten gäbe. Aber in diesem Punkt konnte sie der Notar beruhigen.

Der Pflichtteil, den ihre Mutter zu beanspruchen hatte, war bereits ausgezahlt worden.

Von dieser Seite sollten keine weiteren Forderungen zu erwarten sein. Das Haus war schuldenfrei und alle anfallenden Steuern für dieses Jahr beglichen. Eigentlich könnte sie auf der Stelle einziehen.

Aber da waren Hubert und ihre Arbeit.

Verkaufen war sicher die vernünftigere Option.

„Falls sie am Ende der Bedenkzeit immer noch an dem Haus interessiert sind lassen sie es mich wissen.“

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von dem Notar und fuhr zurück.

Die Kiste im Keller beschäftigte sie gedanklich während der gesamten Fahrt. Sie wollte unbedingt wissen, was sich darin verbarg.

Lea zog sich um. Eine bequeme Hose und ein T-Shirt sollten für den Tag ausreichend sein. Dann stieg sie die Stufen hinab. Der Keller war ihr als Mädchen immer unheimlich gewesen. Es gab Spinnen, und die fürchtete sie ebenso wie Mäuse. Jetzt war sie eine erwachsene Frau, aber an ihren Ängsten hatte sich nichts geändert.

Mut, Lea, ohne Mut kein Sieg, motivierte sie sich, und ging auf die Kiste zu.

Obenauf klebte ein Zettel. In Großmutters steiler Handschrift stand darauf: „Für meine kleine Nora.“

Lea schluckte. So lange hatte niemand mehr Nora zu ihr gesagt, und seit gestern war es nun schon das zweite Mal.

Wie sollte sie diese Kiste aufbekommen? Werkzeug würde sie brauchen. Leider kannte sie sich damit nicht aus. Das war Huberts Bereich, aber Hubert war nicht da. Ich werde ihn anrufen, dachte sie. Er wird mir sagen können, womit ich die Kiste aufbekomme.

Also stieg sie die Treppe wieder hinauf und rief Hubert an.

Der war nicht gut gelaunt. Sicher war es am Abend spät geworden. Nun hatte er wohl ein kleines Problem mit dem Restalkohol.

„Lass die Finger davon“, knurrte er. Du brichst dir eher die Knochen oder schneidest dir einen Finger ab, als dass du die Kiste aufkriegst. Pack sie ins Auto und bring sie mit. Dann mach ich sie auf.“ Er schien kein bisschen froh zu sein, ihre Stimme zu hören. Bevor sie auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, verkündete er: „Ich muss weiter, Privatgespräche während der Arbeit werden nicht gern gesehen, das weißt du genau.“

Er hatte aufgelegt. Lea zuckte die Achseln. So war er eben.

Dann fiel ihr Minks Angebot vom Abend zuvor ein. Er würde kommen, wenn sie Hilfe brauchte. Sie solle sich melden, er wohne immer noch da, wo er als Kind gewohnt hatte.

Sie musste sich erneut auf ihr Rad schwingen und ins Dorf  fahren.

Wo genau Minks Elternhaus stand, wusste sie nicht mehr, aber sie würde es finden.

Schließlich hatte sie den Mund nicht daheim gelassen.

„Entschuldigung“, sprach sie eine alte Frau an, die Pferdemist von der Straße fegte. „Können sie mir sagen, wo das Haus der Familie Mink ist?“

„Die heißen nicht Mink, sondern Hink“, wurde Lea verbessert.

„Ich hatte Michaels Spitznamen im Kopf. Entschuldigung!“

„Das nächste hinter der Kurve“, antwortete die Alte ohne aufzusehen. „Es ist nicht zu übersehen weil der Mink spinnt.“

„Danke!“  Sie schob das Rad den Gehweg entlang und fragte sich, worin sich Michaels Spinnerei äußern würde.

Dann stand sie vor einem Haus, dessen Fassade weiß leuchtete und mit den blau gerandeten Fenstern wie ein Häuschen auf Kreta wirkte.  

Aha, da schwärmte einer vom Süden. Leider fehlte hier das Licht, um die Farben zum Leuchten zu bringen. Immerhin stach es deutlich aus dem grau-braun seiner Umgebung heraus. An einer Durchgangsstraße, wie für die Dörfer in dieser Gegend üblich, war das Haus bemerkenswert.

Lea stand vor der Gartentür und suchte nach einer Klingel.

„Willst du zu uns?“, fragte ein sommersprossiges Mädchen mit blonden Zöpfen.

Hier trägt man noch Zöpfe, staunte Lea. Kaum ein Mädchen in der Stadt wäre dazu zu bewegen.

„Ich möchte zu Herrn Hink, wohnt der hier?“  Lea betrachtete die Kleine ebenso neugierig, wie sie gemustert wurde.

„Mein Papa ist an der Arbeit“, wurde sie belehrt. „Und sonst ist niemand zuhause?“ „Doch, schon. Soll ich die Mama holen?“

„Sei so lieb! Verrätst du mir, wie du heißt?“

„Alle sagen Fritzi zu mir, aber ich heiße Friederike.“ Das Mädchen reckte den Kopf und warf die Zöpfe über die Schultern.

„Friederike ist ein schöner Name!“ Über das Gesicht des Mädchens huschte ein Lächeln. „Sei so lieb und hol mir bitte deine Mama.“

Fritzi flitzte ins Haus und kam wenig später mit einer jungen Frau zurück.

„Sie wollen zu Michael?“ Der Ton war nicht entgegenkommend.

„Ja, ich  bin Lea Zickler, die Enkeltochter von Lotte Hirt.

Michael und ich sind uns gestern Abend im Dorfkrug begegnet.

Er ist ein Spielfreund aus Kindertagen und hat mir Hilfe angeboten falls ich sie brauche. Leider muss ich seine Hilfsbereitschaft schon heute in Anspruch nehmen. Es gibt da  eine Kiste, die ich nicht aufbekomme, und im Haushalt meiner Großmutter findet sich kein passendes Werkzeug.“

Die Frau wurde nicht zugänglicher.

„Ich richte es aus, wenn er von der Arbeit kommt. Aber das kann dauern. Meistens trifft er sich noch mit seinen Skatfreunden bevor er den Heimweg findet.“

Daher die miese Laune, dachte Lea.  Aber sie blieb auch weiterhin freundlich.

„Haben sie vielleicht eine Telefonnummer, über die ich ihn erreichen und fragen könnte? Eventuell würde es ihm den Weg zu mir ersparen.“

Schon plapperte die Kleine los und nannte ihr eine Telefonnummer.

„Das ist bei Papa auf der Arbeit, da kannst du anrufen.

Soll ich es dir aufschreiben? Ich kann schon schreiben, weil ich schon in die Schule gehe.“

„Friederike!“, zürnte die Frau, „wenn hier jemand etwas aufschreibt, dann ich!“

Fritzi schmollte und zog sich ins Haus zurück.

„Einen Moment, ich schreibe ihnen die Nummer auf.“

 Lea schaute sich inzwischen um. Das Grundstück hinter dem Haus war groß und mit allem ausgestattet, was Kinder glücklich macht. Eine Wippe, ein Trampolin, ein Wasserbecken, sogar ein Baumhaus konnte sie entdecken.

Fahrräder standen nachlässig an die Wand gelehnt und auch ein Fußball lag unbeachtet in der Einfahrt. Über der Garagentür wartete ein Baskettballkorb auf gezielte Treffer. Es musste also auch noch einen Jungen geben.

Die Frau kam zurück und reichte Lea den Zettel mit der Telefonnummer.

„Das ist die Nummer vom Büro. Sie müssen Michael an den Apparat holen lassen und das tun sie nicht gern. Vielleicht haben sie Geduld bis heute Abend. Die Kiste läuft ihnen sicher  nicht weg.“

„Ja, danke! Sie haben Recht. Falls ich ihn nicht erreiche, komme ich heute Abend noch einmal her. Sie können ihn ja schon einmal vorwarnen“, scherzte Lea und schob ihr Rad zurück auf die Straße. Sie musste sich also gedulden.

Mink rührte sich bis zum Abend nicht. Also machte sie sich noch einmal auf den Weg in den Dorfkrug.

Da saßen sie wieder die Skater und Feierabendbiertrinker in trauter Runde.

Lea wurde begrüßt wie eine alte Bekannte. Die Männer rutschten zusammen und boten ihr einen Platz an.

„Ich will heute Abend nicht mit euch Bier trinken. Ich brauche einen Mann“, weiter kam sie nicht.

„Du kannst dir einen aussuchen! Sind wir nicht vier vorzeigbare Exemplare?“

„Da möchte ich mal eure Frauen sehen“, winkte Lea ab.

 „Lasst mich doch bitte mal ausreden! Ich brauche einen Mann, der mir eine Kiste öffnen kann. Ich habe im Haus meiner Großmutter kein Werkzeug gefunden und ehrlich gesagt, bin ich auch zu ungeschickt für eine solche Arbeit.“

Das war eine Herausforderung für alle vier. Eine Frau, die sich abmühte, eine Kiste aufzubekommen konnte man doch nicht so einfach im Regen stehen lassen.

„Du brauchst nur einen Geißfuß“, erklärte Mink.

„Und wo soll ich den her nehmen und wie sieht so etwas aus? Bei meiner Großmutter gibt es kein Werkzeug, wäre ich sonst hier?  Ein Messer habe ich schon abgebrochen.“

„Typisch Frau! Mit dem Messer gegen einen Kistendeckel. Du kannst von Glück reden, wenn Du es Dir nicht in die Hand gerammt hast.“

„Das hat mein Mann auch gesagt, aber der kennt meine Ungeschicklichkeit schon.“

Ungeschickte Frauen sind hilflos wie Kleinkinder. Das spornt Männer an, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Alle vier ließen sie Skat und Bier sausen und überboten sich in Aufmerksamkeiten. Ihr das Rad zu schieben war die kleinste davon.

„Wollt ihr nicht erst einmal Werkzeug holen?“ fragte  ihre Begleiter.

„Liegt alles auf dem Weg!“ Das konnte auch nicht anders sein, denn außer den Gebäuden an der Straße gab es  keine weitere Häuserzeile.

Nach und nach verschwand wieder einer hinter einem Tor, um wenig später mit einer Werkzeugkiste aufzutauchen.

Lea amüsierte sich. Bei diesem Einsatz könnte man ein ganzes Haus auseinandernehmen, dachte sie. Dabei sollen sie nur eine Kiste öffnen.

Am Haus angekommen stiegen alle vier Männer aus den Schuhen.

„Was wird das denn?“ Lea staunte. Ihr Mann zog die Schuhe nie vor der Tür aus, ganz gleich ob sie sauber oder schmutzig waren.

„Das macht man so“, scherzte Manfred. Wir achten die Arbeit unserer Frauen.“

„Na dann!?“  Lea war sich nicht sicher, ob das der wahre Grund ist.

„Dann sind sie sicher auch völlig aus dem Häuschen, wenn sie die schmutzigen Socken waschen müssen. Der Keller ist nicht gerade sauber. Also zickt nicht herum und zieht die Schuhe wieder an!“

Die Männer traten verlegen von einem Bein aufs andere. Dann zogen sie ihre Schuhe wieder an und stiegen der Kiste und ihrer Aufgabe entgegen.

Lea zeigte ihnen den Raum.

„Ruft mich, wenn ihr fertig seid!  Ich bereite inzwischen einen kleinen Imbiss vor als Dank für eure Mühe.“

„Bloß nicht, unsere Frauen steinigen uns, wenn wir sie mit dem Abendessen sitzen lassen“, schallte ihr der fast einhellige Protest hinterher.

Sie hatte noch nicht einmal richtig angefangen, da riefen sie schon:

„ Die Kiste ist offen!“ Das ging schneller als sie gedacht hatte.

Sie legte den Deckel auf die Butterdose und das Messer zurück in die Schublade. Dann war sie schon wieder auf dem Weg in den Keller.

Erwartungsvoll schauten sie vier Augenpaare an. Die Männer wollten schließlich auch wissen, was sich in der Kiste befand, die sie so dringend hatten öffnen müssen.

Zögernd trat Lea heran und hob die Lagen aus alten Zeitungen an, die sich unter dem Deckel befanden.

Den Zeitungen folgte Holzwolle.

Mit sanftem Druck tastete sie sich vor bis ihre Hände auf Widerstand stießen.

„Da ist etwas!“, murmelte sie und schälte etwas Bauchiges aus der Umhüllung. Sorgfältig entfernte sie die anhaftenden Holzspäne und stieß auf eine dicke Hülle Seidenpapier.

Ahnung stieg in ihr auf, aber Gewissheit wurde es erst, als sie auch diese Verpackung entfernt hatte.

Ein kleines freudiges Jauchzen konnte sie nicht verhindern, als sie die Deckelvase ihrer Großmutter in den Händen hielt.

„So schön hatte ich sie gar nicht in Erinnerung“, meinte Lea voller Bewunderung.

Die vier Männer schauten sie ungläubig an. Wie eine Frau wegen einer Vase in Verzückung geraten konnte, war ihnen schleierhaft.

„Das Gegenstück ist bestimmt auch drin“, meinte sie, drückte Mink die Vase in die Hand und wühlte sich durch die Reste der Holzspäne.

„Da ist sie“, stellte sie fest und packte auch dieses Exemplar aus ihren Hüllen.

„Großmutter war voller Sorgfalt. Nichts ist beschädigt, sogar an den Deckeln findet sich kein Makel. Dabei sind das die anfälligsten Stellen “, versuchte sie den Männern zu erklären. Aber die interessierte das nicht.

„Nimmst du mir die Vase bitte wieder ab?“, bat Mink. Ich habe das große Talent, solche Sachen fallen zu lassen.“ Er hielt sie von sich, als hielte er ein Stück glühendes Eisen in den Händen.

Lea stellte ihre Vase lächelnd auf den Boden und nahm die zweite entgegen.

„Wer ist mutig genug, mir eine von beiden nach oben zu tragen?“ fragte sie, aber keiner der Männer zeigte auch nur den Ansatz von Bereitschaft.

„Feiglinge“, lästerte sie. „Dann geht schon mal in die Küche und setzt euch hin, ich bin gleich wieder bei euch. Dann gibt es einen Umtrunk. Das ist das Mindeste.

Aber plötzlich mussten alle vier ganz dringend nach Hause wegen ihrer Frauen und des Abendessens.

„Dann eben ein anderes Mal“, lenkte Lea ein. Sie verstand es ja. Wenn ihr Mann zu spät zum Abendessen kam war sie auch nicht gerade amüsiert.

Ihre Helfer waren weg.  Sie löschte das Licht in der Einfahrt und schloss die Tür hinter sich ab.

Dann holte sie auch die zweite Vase aus dem Keller, und stellte sie an ihren angestammten Platz.

Sie waren schöner als in ihrer Erinnerung. Auf einer tiefblauen Glasur leuchteten bunte Schmetterlinge auf zarten Zweigen mit Kirschblüten. Daneben stand eine Pagode. Davor, auf einer Vase ein Mann, auf der anderen eine Frau, bekleidet im Stil der Hochblüte der chinesischen Kunst.

Lea nahm die links stehende Vase auf und legte den Deckel sorgsam ab, bevor sie das Stück umdrehte und auf dem Boden schaute. Sie hatte sich noch nie mit Porzellanmarken beschäftigt.

Das, was darunter eingebrannt war, sah aus als hätten sich zwei X ineinander verschlungen. Sie würde sich informieren, wenn sie wieder zuhause war und Google befragen konnte.

Sie legte den Deckel wieder auf und schaute sich die andere Vase an. Sie muss aus der gleichen Produktion stammen, dachte sie, denn die eine war das Pendant zur anderen.

Die Abbildung der Frau gefiel ihr besonders. Um sie sich näher zu betrachten, hob sie auch diese Vase herunter.

Dieses Exponat war schwerer als das andere.

Lea setzte sich in den Sessel, schaltete das Licht ein und hob den Deckel an.

Ein intensiver Duft von Lavendelblüten strömte ihr entgegen. Sie schloss die Augen und atmete tief ein.

Großmutters Duft.

Sie schaute in die Vase und fand eine Mischung aus Zetteln, Zeitungsausschnitten, zusammen gefalteten Post- und Ansichtskarten, Kalendersprüchen und anderen, undefinierbaren schriftlichen Aufzeichnungen. Obenauf ein gefalteter Umschlag. Den nahm sie heraus.

Alles  andere schüttete sie auf den Tisch. Verblasste Lavendelblüten verstreuten sich über die bunte Vielfalt.  Seit Jahrzehnten hatte sich ihr Duft in dieser Vase konserviert.