Ein neues Buch in Arbeit

          Das Geheimnis der Deckelvase

 

 

 

Auf dem Tisch lag ein großer Brief.

Er war braun wie das Laub der Buchenblätter im Herbst. Wie eine Bedrohung starrte die Adresse sie an.

Mit spitzen Fingern schob sie den Brief ein Stück weiter an den Rand des Tisches und ging in den Flur, um ihren Mantel auszuziehen.

Sie mochte keine offizielle Post.

„Seit wann bekommst du Post von einer Behörde?

Hast du eine Mülltonne überfahren? Bei deinem Geschick als Autofahrerin würde mich das nicht wundern!“

Hubert war das Schreiben aufgefallen, das  auf dem Tisch abgelegt hatte, und Hubert war neugierig.

 zog die Augenbrauen nach oben und ersparte sich die Antwort. Huberts Humor war ihr zu plump.

Als sie vom Dienst kam hatte sie wie jeden Tag die Post aus dem Briefkasten gefischt und sich über das große Kuvert mit dem Stempel einer Rechtsanwaltskanzlei gewundert. Dann aber  ging sie ihrer alltäglichen Arbeit nach und verdrängte die Realität.

Hubert war von der Arbeit gekommen und zu einem ihrer täglichen Rituale gehörte es, gemeinsam Kaffee zu trinken bevor ihr Mann sich aufmachte, ein paar Kollegen auf ein Bier zu treffen.

Hubert war das Schreiben aufgefallen

Aber Neugierig war ihr auch nicht fremd. Sie war sich keiner Schuld bewusst und hatte ein reines Gewissen, was sollte schon in diesem Schreiben stehen?

 

„Nun mach schon auf!“ drängte Hubert. „Dass du bei einem solchen Brief an Kaffee trinken denken kannst! Deine Ruhe möchte ich haben!“

Lea öffnete das Schreiben und las vorsichtshalber erst einmal nicht laut. Ein sehr amtliches Schreiben war das, denn sie wurde mit Frau Leonora Kohler angesprochen. Kein Mensch nannte sie Leonora. Nur leider stand es so in ihren Personalpapieren. Ihre Freunde nannten sie Lea. Nur ihre Großmutter hatte Nora zu ihr gesagt. Das klang so gut nach Literatur, hatte sie behauptet und dabei gelächelt.

„Ich habe ein Haus geerbt?  Was soll ich mit einem Haus? Wir haben doch selbst eins.“ Leas Beine waren schwer und die Worte wollten sich nicht zu einem Satz fügen. Nur mühsam konnte sie aufstehen, um sich noch einen Kaffee zu holen.

„Jetzt mach doch mal den Mund auf“, polterte Hubert und riss ihr das Schreiben aus der Hand.

„Na, die traut sich was!“ schimpfte er. Fünfzehn Jahre kommt kein einziges Lebenszeichen und dann vererbt sie dir ihre  verfallene Hütte. Deine Mutter wollte sie wohl nicht?! Da bist du ihr eigefallen. Das schwarze Schaf der Familie, die abtrünnige Tochter. Die den nicht standesgemäßen Handwerker geheiratet hat, anstatt einen Arzt oder anderen Akademiker, und der jetzt vielleicht gerade gut genug dazu ist, das Haus deiner Großmutter herzurichten, damit es verkäuflich ist. Am Ende kochen sie dich so weich, dass du den Erlös mit ihnen teilst. Wie ich dich kenne, findest du das auch noch richtig.“

Hubert wurde immer reizbarer und je weniger  ihm widersprach, um so bissiger wurden seine Äußerungen.

„Hör auf, Hubert“, bat sie ihn. „Ich bin doch selbst völlig überrascht. Lass mich wenigstens erst einmal darüber nachdenken, bevor du schon wieder darüber spekulierst, wie ich mich verhalten würde, wenn...

Zunächst habe ich ein Haus geerbt. Das ist eine Tatsache, und es ist das Haus meiner Großmutter. Darin bin ich quasi aufgewachsen. Sie hat es ganz sicher nicht aus dem Grund an mich weitergegeben, weil du Handwerker bist und es herrichten sollst.

Sie hat ihre Sachen immer instand gehalten, und ich bin mir sicher, dieses Haus ist in einem perfekten Zustand, auch wenn es alt ist.“

„Du willst mir doch nicht sagen, dass du dieses Haus behalten willst?“ Hubert konnte es nicht fassen.

„Das habe ich nicht gesagt“, widersprach sie. Ich werde das Erbe annehmen, mir das Haus anschauen und dann einen Käufer dafür suchen. Ich habe sechs Wochen Zeit und die werde ich nutzen.“

„Was sich die Alten immer denken“, schimpfte Hubert weiter.

„Sie vererben ihr Haus, wohlwissend, dass hunderte von Kilometern dazwischen liegen, dass es Reisen und Kosten verursacht, bevor man so eine Last wieder vom Bein hat, dass man Freizeit und vielleicht sogar einen Urlaub dranhängen muss, damit man Grund in die Geschichte bringt.“

„Das ist ja wohl meine Sache“, konterte Lea. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du einen Urlaub für ein Haus am Rande der Welt, wie du es nennst, opfern würdest. Ich jedenfalls werde es tun, und dann sehen wir weiter.“

„Wir hatten geplant, unseren Urlaub im Garten zu verbringen, mal auszuschlafen, faul zu sein und abends mit Freunden zu grillen.“

„Mit deinen Skat oder Kegelbrüdern und deren Frauen, die ich mit Salaten und Steaks versorge wie in jedem Jahr. Mit deinen so genannten Freunden, die dein Bier trinken und sich beim pinkeln nicht mal hinsetzen, weil sich das mit ihrer Männlichkeit nicht vereinbaren lässt, und die sich auch nicht scheuen, wenn ihnen der Weg zur Toilette zu weit ist, sich hinter den Johannisbeerbüschen zu erleichtern.“

Lea hatte sich in Rage geredet und schon wieder waren sie in einen heftigen Streit verwickelt, wie so oft in den letzten Jahren.

Ihre Lebensvorstellungen hatten sich weit voneinander entfernt. Hubert bezeichnete Leas Umgang als abgehoben und   fand, Huberts Kollegen und Freunde seien ungehobelt und niveaulos.

Es war der Punkt gekommen, an dem jede weitere Äußerung verletzend und unsachlich werden würde. Also entschloss sich , das Thema zu beenden.

„Ich werde morgen den Notar anrufen und um weitere Auskünfte bitten. Heute treffe ich in der Kanzlei niemanden mehr an. Vertagen wir unsere Diskussionen also auf morgen Abend.“

„Mach doch was du willst“, grollte Hubert, nahm seine Jacke von der Garderobe und knallte die Tür hinter sich zu.

Lea seufzte, stand auf, räumte ihre Tassen in die Spüle und ging in den Keller. Es war Mittwoch, die Waschmaschine wollte gefüttert werden.

Am nächsten Tag telefonierte sie in ihrer Mittagspause mit dem Notar. Ihre Anwesenheit vor Ort sei  notwendig wegen der Schlüsselübergabe und anderer Formalitäten, aber es käme nicht auf den Tag an, jetzt, wo sie der Erbschaft formal zugestimmt hatte“, meinte der Anwalt.

„So einfach ist das nicht!“ widersprach Lea . „Meine Zustimmung gebe ich erst mit meiner Unterschrift. Ich muss mir das Haus ansehen, dann entscheide ich mich. Ich  war das letzte Mal vor fünfzehn Jahren dort. In der Zwischenzeit kann viel passiert sein.“

„Machen sie sich keine Sorgen um den Zustand der Immobilie“, beschwichtigte der Notar. Ich habe das Haus gesehen, als ihre Großmutter das Testament verfasste. Da ist nirgendwo ein Mangel zu entdecken. Manch einer würde sich die Finger lecken, wenn ihm ein solches Schätzchen in den Schoß fällt.“

„Dann verkaufe ich es eventuell an sie“, scherzte Lea.

„Ich würde nicht nein sagen“, meinte er, doch Lea war nicht bereit eine Zusage zu machen, bevor sie selbst vor Ort gewesen war.

„Ich muss versuchen, kurzfristig Urlaub zu bekommen und wenn mir das gelingt, bin ich Anfang der nächsten Woche in Raustal.“

„Also bis demnächst!“ Der Notar beendete das Telefonat und Lea bat ihre Leitende Assistentin um ein Gespräch.

Es war nicht leicht, die Dienste zu tauschen und kurzfristig für zwei Wochen ungeplant in Urlaub zu gehen, aber die Situation war ja nicht voraussehbar gewesen und dass Lea ihre Angelegenheiten klären musste, stand außer Frage. Da sie aber sehr oft für ihre Kolleginnen Dienste übernommen hatte, wenn die Kinder krank waren oder andere familiären Notfälle auftraten, konnten sie sich in diesem Fall bei ihr revanchieren.

Jetzt musste sie nur noch Hubert motivieren, mit ihr das Erbe zu besichtigen. Das würde die schwierigste Aufgabe werden.

 

 

 

Meint ihr, das interessiert jemanden?